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Wir freuen uns Georg Felsberg zu unserer traditionellen "Weihnachts-Lesung" begrüßen zu dürfen...
Gebetshöhlen, Göttinnen und Gurus
und vom kleinen Vogel Tittiba, der nachts auf dem Rücken schläft, mit offenen Augen und nach oben gerichteten Füßen, weil er glaubt, der Himmel könnte plötzlich über ihm einstürzen. Aufgeschrien und vorgelesen von Georg Felsberg
Mit vielen Bildern
Merkwürdige Geschichten: Der Dschinn in der Ringmauer könnte eine Spitzkopfnatter sein, olivgrün mit schwarzer Zunge und blauem Rand. Die schönen Frauen mit den grünen Augen tanzen, singen, schwingen ein wenig ihre Hüften und zeigen ihre langen Hälse mit goldenen Ohrgehängen. Sie gehören zu den Bhopas, die Schmerzen lindern können mit Balladen, die von mutigen Göttern erzählen und tapferen Löwenmenschen. Der krumme Sadhu hebt feierlich die Arme und beschwört mit vibrierenden schwirrenden Tönen den Strom Brahmaputra, den Allesschöpfer und Alleszerstörer. Der krumme Sadhu ist, wie ein alter Baum, tief in den Boden eingewachsen. Niemand kann ihn forttragen...
Heiter-komische und nachdenkliche Geschichten, aufgelesen und beobachtet auf dem indischen Subkontinent.
Hier eine Kostprobe:
Das Wunder
Die kräftigen Händchen des kleinen Jungen umklammern ein buntes Plastiktelefon, so fest, als könnte ihm jemand sein Lieblingsspielzeug wegnehmen. Wenn er das billige Ding aufklappt und eine Nummer drückt, jault es laut auf und spielt mit quäkender Computerstimme irgendeine Nachricht ab. Der kreischende Singsang entzückt das Kind und leider auch die anderen Mitreisenden im Sammeltaxi von Karu nach Tikse im oberen Tal des Indus. Sie finden das Spiel amüsant und bitten immer wieder um einen neuen Anruf. Das Kind lässt es jaulen, bis das Telefon zu Boden fällt, ein Leuchtlämpchen abbricht und sich die Schnur des Telefons zwischen den Füßen der Fahrgäste verheddert. Leute steigen aus, Leute steigen ein.
Die Mutter des Knaben repariert geduldig, was hineingedrückt oder herausgezogen werden muss. Jetzt blinkt das Gerät wieder, jault und kreischt. Am nächsten Halt verlassen fast alle Mitreisenden den Wagen. Jetzt sitzt nur noch die Mutter dort auf der Bank, das Kind ihr gegenüber am offenen Fenster.
Es hält sein quäkendes Ding mit einem Arm in den Fahrtwind hinaus. Die Mutter findet, das sei gefährlich. Einer der vorüberrasenden Wagen könnte mit seinem Außenspiegel dagegen stoßen. Aber das Kind will den Arm nicht zurückziehen. Es mault und verzieht das Gesicht. Als die Mutter jetzt ernsthaft böse wird, beugt das Kind rasch den Arm und wirft mit Schwung das Spielzeugtelefon aus dem Fenster. Die Mutter hat gerade zu mir herübergesehen mit einem Blick, als wolle sie sich für den ungezogenen Jungen entschuldigen. Da brüllt das Kind laut auf. Ein Wutausbruch folgt dem nächsten. „Wo ist mein Telefon“, heult es auf, „mein Telefon ist rausgeflogen.“ Die Mutter nimmt den strampelnden Knaben auf ihren Schoß und versucht ihn mit vielen Küssen und gutem Zureden zu beruhigen. Ein Drama. Eine Tragödie. Das Telefon ist für immer verloren. Wie schön.
Was das Kind nicht bemerkt hat und die Mutter nicht sehen konnte: Das bunte Telefon ist nicht auf die Straße gefallen, sondern nur gegen den Rahmen der Tür geprallt und dann im Wageninneren zwischen Tür und Sitz gerutscht. Endlich jault es nicht mehr. Ich lehne mich zurück.
Bis zum nächsten Halt kann sich der Knabe leider nicht beruhigen, er schnieft und jammert. Jetzt steigen vier Frauen zu uns in den Wagen, ich muss mich deshalb auf den Platz setzen, auf dem eben noch das Kind saß. Als die Heularie immer noch nicht endet, taste ich vorsichtig mit der Linken nach dem Telefon. Ich muss dabei eine der Tasten berührt haben. Plötzlich jault ein schriller Ton auf, dann plappert die Computerstimme los. Das Kind erstarrt mitten in seiner zappelnden Bewegung. Es erkennt sofort: Das ist mein Spielzeug! Ungläubig starrt es mich an. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Telefon herauszuziehen und es mit einem kleinen gequälten Lächeln dem Kind zu reichen. Das lacht glücklich und bald hat es wieder alle schrecklichen Töne ausprobiert. Die Mutter aber sieht mich mit weit geöffneten Augen an, legt ihre Hände mit einer Geste der Ehrerbietung vor ihrem Gesicht aneinander und verbeugt sich vor mir. Zum Glück muss ich jetzt aussteigen.
Was wird die Mutter den Frauen auf der Weiterfahrt über mich erzählen? Dass ich ein Wundermann sei, der verlorene Dinge aus der Luft zurückzaubern kann, nur um ihren geliebten Sohn zu trösten? Was werden die Familien dieser Frauen über mich denken, wenn sie vom Fremden hören und seinen wunderbar-magischen Kräften? Was erzählen sich einmal alle zwischen Tikse und Karu, über mich, den Guru, der vielleicht noch ganz andere, größere Wunder vollbringen könnte? Wer weiß?
Georg Felsberg