Mit dem Ausstellungstitel „Vielfalt statt Einfalt“ möchte die Künstlerin nicht nur auf gesellschaftliche Miss- und Zustände aufmerksam machen und zum politischen Mitdenken, zu einer politisch- gesellschaftlichen Verantwortung anregen, sondern uns mit dieser Werkschau auch ihre vielfältigen Ideen und Techniken vorstellen, mit denen sie sich die letzten beiden Jahre beschäftigt hat, die sie in den letzten beiden Jahren in Atem gehalten haben.

An Techniken begegnen uns heute neben Aquarellen, Acrylbildern und Digimix vor allem Gouachen (das sind Malerei auf Papier oder, wie hier, auf Aquarellkarton mit Farbpigmenten, die mit Kreide gestreckt und mit wasserlöslichem Gummi arabicum gebunden werden und einen eher matten Farbauftrag zeigen). Die Bildtitel wie „Im Sturm“, „Meeresrauschen“ oder „Wild dream in red“ sind allerdings nur kleine Hilfestellungen, um den ungegenständlichen gleichwohl nicht gegenstandslosen Bildern näher zu kommen. Es geht bei der Künstlerin Gudrun Wörner- Rickelt immer um Emotionen, wilde und leidenschaftliche Gefühle, die sich auf den Zustand unserer Welt beziehen und die eine kreative Seele stets umtreiben: Liebe, Hass, Gewalt, Zerstörung… Diese stark farbigen Bilder sind in gestischer Ausdrucksweise heraus entstanden, aus einem körperlichen, expressiven Duktus. Die Künstlerin malt, spritzt oder druckt Ihre Gefühle mit der Farbe direkt aus ihrem Körper. Unmittelbarer geht es kaum. Somit sind sehr stark farbige Spontankompositionen entstanden, die in ihrer Exzessivität kaum zu überbieten sind. Ein Farbenrausch ist entstanden, mehrlagig ist Farbe übereinander gelagert, bereit, sich selbst zu überbieten. Trotz der zurückgenommenen glänzenden Kraft der Gouachefarbe sind die Nuancen und Schattierungen der Farbakzente deutlich hervorgehoben und gehen innige Vereinigungen miteinander ein. Abriebe und Abklatsche sind bei genauerem Hinsehen zu bemerken, die an osmanische Batiktechniken, wie etwa Feder- oder Kammtechniken, erinnern.

Auch in ihren neun Acrylbildern kommt diese sehr körpernahe und eruptive Malweise bei der Künstlerin zum Tragen. Die auf dem Boden ausgebreiteten Leinwände werden in mehreren Farbschichten mit Farbe bedeckt, mit dem Pinsel, dem Spachtel oder getropft und gespritzt. Der US- amerikanische Künstler des abstrackten Expressionismus und des „dripping“, Jackson Pollock, hat einmal gesagt: „When I am in my painting, I am not aware of what I'm doing. It is only after a short of 'get acquainted' period that I see what I have been about...“ (Wenn ich in meinem Bild bin, bin ich mir nicht bewusst, was ich tue. Erst nach einer Periode des Vertrautwerdens sehe ich, was ich gemacht habe.“) Es ist also etwas sehr Unterschwelliges, Unbewusstes, mit dem sich Gudrun Wörner- Rickelt ausdrückt. Bei den schwarzen Bildern ging es ihr um pures Lebensglück und Energie, welche die Bilder leuchten und strahlen lassen. Es sind wahre Farbexplosionen. Aber nun ein Widerspruch: die weißen Bilder sollen Schmerz, Verletzung und Tod ausdrücken. Rot- , Blautöne und Schwarz zerstören und splitten das unschuldige Weiß. Die Tiefenpsychologie eines Sigmund Freud lässt von ferne grüßen! Verschüttete Urinstinkte dringen vereinzelt ans Tageslicht und hinterlassen eindrucksvolle Fußabdrücke. Sigmund Freud hierzu: „Das Unbewusste ist viel moralischer, als das Bewusste wahrhaben will.“
Die Bildtitel „Gezeichnet“ oder „Deadly offense“, mit denen die Künstlerin auf archaische Ur- Instinkte aufmerksam machen will, unterstreichen diese künstlerische Haltung zusätzlich.

Die Malerin und Grafikerin Gudrun Wörner- Rickelt stammt aus Karlsruhe, wo sie zunächst an der Pädagogischen Hochschule Kunst und Geschichte studierte, bevor sie in den 1980er Jahren Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Prof. Rainer Küchenmeister studierte. Dieser überraschte in seinen späten Aquarellen (kurz vor seinem Tod im Jahr 2010) durch ungewohnt gewagte und ausdrucksstarke Farbintensität und ungeahnte abstrakte Kompositionen.
Auch seine ehemalige Schülerin Gudrun Wörner- Rickelt widmet sich in dieser Ausstellung dieser Technik, meist in kleinformatigen skizzenartigen Kompositionen, „Phantasmagorien“ genannt, also der Vorführung von Trugbildern oder optischen Täuschungen. Es sind heitere, kleine Spielereien mit Namen „Abendrot“ oder „Wunschloses Glück“, die Leichtigkeit und Träumereien zeigen als Gegenpart zum Ernst des Lebens. Es sind spontan entstandene Lebensskizzen, die Hell und Dunkel, Fröhlichkeit und Bedrückung, Situationen des Täglichen, nebeneinander festhalten.
Zwei größere Aquarelle „Passion“ und „Duftiges Versprechen“ finden Sie neben weiteren abstrakten Gouachen im Gang. Dicht gehängt mit den Gouachen, so dass Sie in einen Farben- und Formenrausch gelangen, wenn Sie sich auf diesen inspirierenden Spaziergang einlassen wollen.

Ein Künstler sucht ständig nach neuen Impulsen und Ausdrucksmöglichkeiten, nach spannenden Techniken und Inspirationsquellen; unsere Künstlerin beschäftigte sich in letzter Zeit mit den neuen Medien der IT- Branche. Zwei großformatige am Computer mit einem speziellen Grafikprogramm entstandene Digimix- Bilder „In der Ruhe liegt die Kraft“ und „Deep injury“ sind an der Eingangswand platziert. Sie sind auf hochwertige Leinwand gedruckt und wirken auf die Entfernung wie Pastell- oder Farbstiftzeichnungen. Hierbei obliegt es der Inspiration des Künstlers, wie er Strukturen und Farben einsetzt. Die Mouse ist der Pinsel, der Desktop die Leinwand. Das rechte Bild soll den „Fluss des Lebens“ darstellen, es besitzt einen stark meditativen Charakter in bewusst gedämpften Farbspektren in Grün und Blau. Weiße Einsprengsel stehen für die Lichtblicke im Leben, das Dunkle sollte – wie im wahren Leben – nicht allzu sehr hervortreten. Panta rhei, alles fließt, alles befindet sich im Wandel, vieles ist vergänglich und unsicher. Es obliegt dem Individuum, seine Wege im Leben zu finden, sich zu verwirklichen aber trotzdem Rücksichten auf andere Subjekte zu nehmen, Unsicherheiten und Unwegbarkeiten zu erkennen.
„Deep injury“ (tiefe Verletzung) zeigt auf suggestive Weise eine Seelenlandschaft. Das Leben ist Leidenschaft, Tiefe und starke Gefühle. Verstrickt in Zwänge und Regeln winkt von ferne ein Licht am Horizont. Verschwommene Unschärfen treten in den Bildhintergrund, wohingegen klare Schraffurht nur – aber auch – politisch gemeint!

 

 

Veröffentlicht am 20.05.2019